Bislang haben wir in einer 3-Zimmer Wohnung mitten in der Hamburger City gewohnt. Mit Blick auf den Michel und das Bismarck Denkmal. Wir konnten uns in der Dom–Zeit stets an Popcorn Duft erfreuen und freitags abends das Feuerwerk bestaunen und wenn ein Tor für Pauli fiel, waren wir die ersten, die davon Wind bekamen. Hachja, schön war’s… Immer Trubel vor der Haustür, leckere Restaurants und gemütliche Cafés in unmittelbarer Nähe und kurze Wege egal wohin: Schanze, Hafen, Innenstadt – kein Problem. Aber es hat eben auch Nachteile. Die Wohnung lag nämlich im 5. Stock – JA, OHNE Fahrstuhl – was natürlich fit hält, aber mit Schwangerbauch eher weniger Spaß macht. Und durch die Nähe zum Kiez fanden regelmäßig irgendwelche Vorsauf-Treffen im Haus statt, es wurde nachts gerne mal sturmgeklingelt, weil sich irgendein Besoffski an die Türklingel lehnte oder man erfreute sich an wilden Sexorgien der Nachbarn. Alles kein Drama, aber wenn erst mal Kids da sind, irgendwie nicht mehr soooo cool. Zumal ich mit meiner Statur und den Mini-Muckis schon Schwierigkeiten bekommen werde beide Kids in einem Schwung zu tragen – und wir sprechen hier garantiert nicht von 168 Treppenstufen bis in den 5. Stock. Mit Zwillingen: NEVER EVER.
Muss ich wegen der Kids viel aufgeben? Und wo liegt die Schmerzgrenze?
Ich gebe zu, die Tatsache aus der Stadt herauszuziehen kam für mich bis vor Kurzem nicht ansatzweise in die Tüte. Während mein Mann von einem eigenen Häuschen mit Garten träumte waren mir Spontanität, kurze Wege (vor allem zu Freunden) und das Getummel der Stadt unglaublich wichtig. Hamburg ist einfach meine Perle und ich mag das Großstadtleben. Als ich mir vor einem Jahr mit Michi (nur ihm zuliebe und weil wir ein unglaublich gutes Angebot von Bekannten bekamen) ein Haus in Poppenbüttel anschaute heulte ich Rotz-und-Wasser bei dem Gedanken dort hinzuziehen. Nun muss man dazu sagen, dass Poppenbüttel auch am A… der Heide liegt, man mit der Bahn 30 Minuten bis in die Innenstadt fährt – da ist natürlich der Weg mit einem Bimmelbus bis zur Bahnstation noch nicht eingerechnet – und in jeder zweiten Garage ein Porsche oder Ferrari steht. Eindeutig kein Ort an dem ich mich wohlfühlen könnte. Selbst der Bestechungsversuch, einen eigenen kleinen Smart zu bekommen, wurde von mir klanglos abgeschmettert.
Doch komischerweise hat sich die Abneigung gegenüber einem eigenen Heim rapide gesenkt, seitdem ich weiß, dass Nachwuchs im Anmarsch ist. Das mag zum einen daran liegen, dass die Hormone Achterbahn fahren, zum anderen aber auch daran, dass Platz und Freiraum plötzlich super wichtig sind. Schon komisch, dass diese kleinen Würmer so viel Einfluss auf einen haben. Nicht nur, dass man rein beruflich ordentlich einsteckt (da Kinder nun mal auch als schreiende Karriere-Bremsen durchgehen), man ist plötzlich auch bereit auf so vieles zu verzichten: auf spontane Kiezabende mit Freunden, kurzfristig geplante Urlaube, einen Abstecher in die City…. auf seine Ungebundenheit eben. Und zwar gerne, denn die Freude auf die Kleinen ersetzt all das und lässt Platz für Spießigkeit.
„Tschau“ Hamburg, „hallo“ neues Wohngebiet
Nun wohnen wir also im Grünen. Genauer: in Schenefeld. Mit der S-Bahn sind es 20 Minuten bis in die Sternschanze zu meinem Arbeitsplatz und bis Altona ist es noch näher. Und doch ist es eine riesen Umstellung – es ist plötzlich leise! Man kann sogar bei offenem Fenster schlafen ohne Tattüüütata und Besoffski-Pöbel. Es ist grün, man hat Platz aber man muss natürlich auch ein wenig Zeit einplanen, um in die Stadt zu kommen. Aber das nehme ich gerne in Kauf, denn verrückterweise fühle ich mich total wohl. Viele belächeln das oder lästern über die vermeintliche Spießigkeit. Es liegt auf der Hand: wer sich für Familie und Konvention entscheidet steht oft vielen Kritikern gegenüber, die sich für die Freiheit aussprechen und nicht verstehen können, warum man plötzlich auf nächtelange Exzsesse und Selbstbestimmung verzichten möchte. Aber was genau ist denn überhaupt Spießigkeit und wer legt fest, ob man dazugehört?
Meine Vorstellung von einem wahren Spiesser
Zu meiner Vorstellung von einem Spießer-Paar gehören definitiv folgende Attribute: Pärchen die ihre Jack Wolfskin Jacken im Partnerlook tragen und nach einer Nordic Walking Tour gemeinsam ihre Leberwurst Brote aus der Alufolie pulen und die Thermoskanne hin und her reichen. Oder aber das genaue Gegenteil: die ewig Verliebten, die sich die kuriosesten Kosenamen geben (Häschen, Mäuseli und wie sich nicht alle heißen…) und jedes Jahr die gleiche Pauschalreise buchen. Dann wären da noch die üblichen Verdächtigen, wie Wackeldackel in der Heckscheibe, gemeinsamer Bausparvertrag und diese komischen gehäkelten Mützen für Klopapierrollen (ich frage mich schon mein Lebtag, wozu die gut sein sollen), die ich mit echten Spießern verbinde. Und eigentlich auch den Schrebergarten und den Gartenzwerg – aber den haben wir nun auch. Ein Geschenk meiner Mutter zum Umzug, über das sie sich köstlich amüsierte und ihn mit einem Augenzwinkern überreichte. Das geile daran ist jedoch: sie hat uns die Möglichkeit gelassen aus einem Spießergegenstand was Hippes zu zaubern, denn den komplett weißen Gartenzwerg kann man selbst anmalen! Mein nächstes DIY Projekt, um mich gegen das Spießerdasein zu wären und einen YOLO-Gangster Zwerg zu kreieren.
Und wie viel Spiessigkeit steckt nun in mir?
Ich hab immer gedacht, wenn ich mal Mutter werde, dann halt so eine coole, sorglose Hippi-Mama, die mit Kind vor den Bauch geschnallt in Szene-Cafés sitzt oder es im Rucksack a la Backpacking quer durch Thailand schleppt. Aber nun sind es zwei auf einen Streich und ich befürchte, im ersten halben Jahr bekommt nicht mal die Ostsee eine Chance… Denn schließlich bin eigentlich nicht ICH der Spießer, sondern meine Kinder. Denn wer will schließlich jeden Tag um die gleiche Zeit sein Essen haben? Wer lässt 0,0 Abwechslung in der Nahrungswahl zu und will nur eins: MILCH? Ganz genau: meine kleinen Doppelherzchen. Da ist dann wohl Pragmatismus gefragt und man zieht mit, um sich das Leben nicht schwerer zu machen als es ist. Der Sportwagen wird verkauft und ein Kombi muss her, damit das Monster von Kinderwagen auch hinten rein passt. Und mein lässiger Hipster Look wird wohl auch erst mal den ausgeleiherten Stillblusen weichen… Machen wir uns nichts vor. Aber irgendwie wächst auch der Spießer in mir… Ich muss mir beispielsweise viel öfter eingestehen, dass ich an einem Freitag Abend gar keine Lust mehr auf witzige Kneipen-Abende mit Freunden habe, weil ich platt von der Woche bin – weniger, weil ich dort eh nur Apfelschorle trinken dürfte. Ich habe meine Stadtwohnung direkt neben dem Kiez aufgegeben, um in mein eigenes Häuschen im Speckgürtel zu ziehen und den Kids einen Garten und einen Spielplatz bieten zu können, auf dem keine besoffene Penner liegen oder sie beim Sandburgen bauen auf Spritzenbesteck stoßen.
Aber wenn ich nun in den Duden gucke und mir die Eigenschaften eines Spießers anschaue, steht da: „ein Spießer gilt als engstirniger Mensch, der alles Neue ablehnt und keine Veränderungen in seiner Lebensumgebung zulässt. Und wenn man uns eins nicht anhängen kann, dann ja wohl das. Denn mehr Veränderungen als wir in den letzten 1,5 Jahren hinter uns haben und nun noch auf uns zu kommen, werden wohl die hippesten und coolsten Anti-Spießer nicht vorweisen können.
In diesem Sinne: einen super unspießigen und hippen Tag, wünscht euch die Schenefelder Eigentumbesitzerin:
Janna [bs_icon name=”glyphicon glyphicon-heart”] [bs_icon name=”glyphicon glyphicon-heart”]